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Titel: Spezielles Angebot für Fachkräfte – Psychohygiene

00:00:01 Interviewerin
Wenn Menschen helfen, wenn Menschen Betroffenen sexualisierter Gewalt helfen wollen, dann
erleben sie selber oft eine Art von Belastung. In der Beratungsstelle gegen sexualisierte
Gewalt wird auf Fortbildung großer Wert gelegt. Ein Thema dabei ist die Psychohygiene. Frau
Voßhenrich, was bedeutet Psychohygiene für die Beratenden und wie können Sie das Angebot
dahingehend ausweiten?

00:00:33 Anke Voßhenrich
Es gibt einen Begriff, der nennt sich Sekundärtraumatisierung. Das heißt, dass wir Helfenden
dadurch, dass wir empathisch zuhören, dadurch, dass wir als wissender Zeuge bei Erzählungen
dabei sind, wenn Menschen, die traumatisiert sind, sich öffnen, dass wir durch das sekundär
traumatisiert sind. Das heißt, es passiert nicht uns selber, aber durch das Zuhören und durch
das viele Zuhören und durch das Zuhören von schlimmen Dingen kann es sein, wenn wir nicht gut
auf uns achten, dass wir auch traumatisiert werden. Und deswegen bieten wir in der Beratungsstelle
an, dass Menschen, die mit sexualisierter Gewalt zu tun haben, und das kann tatsächlich sein,
die Polizei, das können Anwälte sein, das können Sozialarbeiterinnen sein, das können Therapeutinnen
sein, alle, die das Gefühl haben, sie kommen an einen Burnout durch Sekundärtraumatisierung,
dadurch, dass sie Themen nicht mehr gut verarbeiten, merken, dass sie Sachen mit nach Hause
nehmen, die sie eigentlich auf der Arbeit lassen möchten, oder dass sie denken oder nachts
aufwachen, träumen von Dingen, dass wir dafür Psychohygiene brauchen. Und Psychohygiene
kann sein, Supervision, dass man darüber spricht, aber es kann auch etwas sein, dass wir unsere
eigenen Ressourcen aus dem Blick verlieren und dann überlegen müssen, was sind denn meine
Ressourcen? Und wie kann ich wieder lernen, gut für mich zu sorgen? Wie kann ich meine Abgrenzung,
dass, wenn ich was höre, dass ich das Recht habe, mich abzugrenzen gegen eine Geschichte, mein
Herz für den Menschen aber offen lassen kann? Das ist so ein Zwiespalt, in dem wir stecken. Und
dass sich das einfach nochmal wieder bewusst machen und, wenn ich das mache, mit den einzelnen
Menschen gucken, was sind die Ressourcen, auf die jeder zurückgreifen kann? Jeder, jede zurückgreifen
kann.

00:02:39 Interviewerin
Und welche Hilfestellungen bieten Sie dabei an? Was können Sie erreichen? Wie können Sie es
tun?

00:02:44 Anke Voßhenrich
Wir können es tun tatsächlich auch wieder übers das Gespräch und über die Bewusstbarmachung,
weil Ressourcen können ja sein, ich lege mich in die Badewanne. Es kann sein, sich einen imaginären
Schutzwall vorzustellen, wo Energien von denen, was erzählt wird, ich gar nicht an mich heranlasse,
dass so eine Schutzhülle um mich rum ist. Das ist tatsächlich was, was erarbeitet werden kann,
weil das, was bei einem Menschen wirkt, wirkt beim anderen gar nicht. Und manche finden so Schutzhüllengeschichten
vielleicht auch spooky und brauchen aber dann wirklich mehr was Reales. Also wie, ich gehe
joggen, um die Anspannung, um das, was mich wütend macht in der Situation, um die Ungerechtigkeit,
die ich höre, um die Ohnmacht, die ich höre, aushalten zu können. Um die Ohnmacht, dass einem
Menschen, dem was Schreckliches passiert ist, das landet ja bei mir, ich fühle mich auch ohnmächtig,
besonders wenn es in der Vergangenheit dieses Menschen stattgefunden hat. Und dann zu gucken,
was hilft mir als helfender Person, um wieder stabil und offen da zu sein. Und das ist tatsächlich
individuell. Also da gibt es nicht die Methode, sondern da geht es darum, mit jedem Menschen
zu gucken, was ist es für dich.

00:04:08 Interviewerin
Ja, und der Einzelne entscheidet auch, wie schnell dieser Moment kommt. Resilienz ist ja nicht
jedem innewohnend sozusagen. Das heißt, Sie sehen zu, dass Sie die Selbstheilungskräfte
der Betroffenen, oder in diesem Falle der Fachkräfte, dann auch aktivieren können.

00:04:26 Anke Voßhenrich
Ja.

00:04:28 Interviewerin
Nochmal konkreter, wie tun Sie das? Haben Sie Instrumente oder bleibt es beim Gespräch?

00:04:34 Anke Voßhenrich
Es geht ja um Wahrnehmung und dann wahrnehmen, also wenn Menschen hier hinkommen und sagen,
ich brauche an der Stelle Hilfe, gibt es ja schon ein Bewusstsein dafür. Und es geht mehr darum,
gemeinsam zu gucken, bei welchen Patienten, Patientinnen tritt es auf. Was sind die Themen,
die mich besonders triggern, ist einfach jetzt das Wort. Also was sind die Themen, die besonders
triggern und was brauche ich dann? Und was hat dieser Triggerpunkt vielleicht mit meiner eigenen
Geschichte zu tun? Also man öffnet sich schon, man guckt bei sich und man guckt auch, was hat
mir in der Vergangenheit geholfen. Zum Beispiel selbst mit Gefühlsübungen, Achtsamkeitsübungen.
Auch da ist Atmung ein wichtiger Bestandteil. Was sind Ressourcen, auf die ich zurückgreifen
kann? Wie bin ich in einer schlimmen Situation in meinem eigenen Leben rausgekommen? Welche
Menschen können mir im Außen helfen? Habe ich Freundinnen, habe ich einen Ehemann, habe ich
jemanden, mit dem ich reden kann? Oder bin ich jemand, der das alles in sich reinfrisst? Und
hat mir das bis jetzt gut geholfen, aber komme ich jetzt an die Grenze, wo es nicht mehr klappt?
Was brauche ich dann? Hilft mir dieses Gespräch, was ich dann führe? Oder ist das etwas, wo ich
es lieber trotzdem weiter mit mir alleine ausmachen möchte und dann eben vielleicht in die
Natur gehe? Es geht um ein Ausloten. Was tut mir gut?

00:06:18 Interviewerin
Das muss jeder einzelne Betroffene, jede einzelne Fachkraft auch für sich selber ausloten.
Und dann entscheidet sich wahrscheinlich auch, aber das wissen Sie besser aus Ihrem Alltag,
ob es eher eine Einzelberatung noch mal empfehlenswert ist für die Person oder eher eine Gruppenberatung,
wo man vielleicht verschiedene Menschen noch mal zusammenzieht und ihnen eine Unterstützung
gibt und auch sagt, hier, du bist ja nicht alleine damit.

00:06:51 Anke Voßhenrich
Ganz genau. Wir bieten das auch für Teams an, weil manchmal sind Teams, wenn ein schlimmer Fall
war in einer Einrichtung, ganz betroffen davon. Und dann ist es einfach nur wichtig, einen
Raum zu schaffen, wo das sein darf. Und dafür braucht es ja jemanden, der aushält, die Geschichten
zu hören. Und das ist dann meine Arbeit an der Stelle, einen Raum zu schaffen, wo ein Team über
Sachen reden kann.

00:07:21 Anke Voßhenrich
In Einzelkontakten können auch kunsttherapeutische Methoden eingesetzt werden. Es können
auch Gänge in die Natur eingesetzt werden. Wir haben im Moment angedacht drei Stunden. Manchmal
werden es fünf. Manchmal ist mit einer Stunde schon genug getan. Das ist wieder sehr individuell.

00:07:43 Interviewerin
Ja, der Aspekt Psychohygiene wird oft vernachlässigt, weil die helfenden Menschen doch mit
ihrer Unterstützungsleistung für die tatsächlich Betroffenen sexualisierter Gewalt beschäftigt
sind. Aber man darf es einfach nicht vernachlässigen. Sie tun da großartige Arbeit, Frau Voss-Henrich.
Vielen Dank.

00:08:03 Anke Voßhenrich
Dankeschön. Das ist total nett.